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Die Kopisten benutzten Abkürzungen für die nomina sacra. Anstatt Gott (Theos) zu schreiben, schrieben sie ein Theta, ein Sigma und
zogen darüber eine horizontale Linie so: ΘΣ. Die Linie bedeutete so viel wie: Was unten steht, ist die Abkürzung eines heiligen Namens, dessen erster und letzter Buchstabe geschrieben
wurden. Man verwendete damals weder Minuskeln, noch Spiritus oder
Interpunktionszeichen. Wettstein prüfte in England also die Stelle des griechischen Textes, wo man tatsächlich so etwas lesen könnte wie
„Jesus (...), Gott im Fleische manifestiert“ etc. Aber Wettstein bemerkte, daß etwas nicht stimmte. Die Farbe der Tinte in der Linie sah anders aus, der
Duktus war verschieden. Nach weiterer Überprüfung entdeckte er auf der anderen Seite des Blattes eine an derselben Stelle
gezogene kurze Linie, die durch das Pergament hindurchschimmerte. Dies änderte die ganze Lage!
Die berühmte Stelle sprach nicht von Gott und enthielt kein sacrum nomen, sondern einfach die Buchstaben Omikron (mit einer kurzen Linie von der anderen
Seite) und Sigma, also einfach ΘΣ, das Maskulinum des Relativpronomens hos-he-ho, wörtlich ›der/die/das‹. Der Text lautet also ursprünglich nicht: „Jesus (...), Gott im Fleische manifestiert“, sondern: „Jesus (...), der im Fleische manifestiert“ usw. Andere Stellen aus der Apostelgeschichte und aus dem ersten Johannisbrief
zeigten ähnliche oder schlimmere Probleme. Das Ergebnis war niederschmetternd. Man hatte
eine Theologie entwickelt und dabei die heiligen Texte manipuliert! Wettstein
war nach weiterem Forschen überzeugt, daß sämtliche griechischen Manuskripte verfälscht und dem lateinischem Text angeglichen wurden.
Ein letztes Beispiel, das jeder leicht überprüfen kann: Das Ende des Johannes-Evangeliums (Kap. 21) erzählt eine eigenartige Begebenheit über den Fischfang mit einem Netz. Aus irgendeinem Grund findet der Autor ein
arithmetisches Detail erwähnenswert und berichtet: Das Netz war voller Fische, und es waren 153.
Robert Price hat herausgefunden, daß bei Jamblichus, Leben des Pythagoras, die gleiche Begebenheit vorkommt. Und 153
ist eine sogenannte Dreieckszahl. Dies sind Zahlen, die durch die Summe der
Ziffern in der normalen Anordnung erzeugt werden, wie 3 (= 1+2) und 10 (=
1+2+3+4). Die Summe von 1 bis 17 ist eben 153. Ferner ist 153 gleich der Summe
der Fakultäten 1! +2! +3! +4! +5! Seit der Antike waren diese Zahlen besonders wichtig: Alle
Dreieckszahlen ab der 3 sind zusammengesetzt. Es ist zu erwarten, daß diese Zahlen für die Pythagoräer eine Bedeutung hatten − aber was hat die Zahl 153 in einem Evangelium zu suchen?
Wir besitzen heute keine Originale der Bibel, sondern nur Kopien von Kopien von
Kopien... und wir wissen nicht, was dabei weggelassen oder zusammengefügt wurde, ob es überhaupt Originale gab oder nur Zusammenfügungen verschiedener Geschichten. Wir besitzen Gottes Wort nicht mehr. Aber hätte Gott sein Wort in einem Buch offenbart, hätte er sich auch um seinen Erhalt gekümmert.
Widersprüche, Fälschungen, Textmanipulationen und Plagiate. Dies als Grundlage und Auswirkung
einer Theologie! Fritz Mauthner beginnt seinen Eintrag ›Gotteswort‹ im Wörterbuch der Philosophie mit der lapidaren Bemerkung: „Es ist schwer, ernst zu bleiben, wenn man den Begriff "Gottes Wort" untersuchen
will,"
Manche Zeitgenossen geben zu, daß eine Offenbarung, schon dem Begriff nach, unhaltbar ist. Viele würden zugeben, daß der spezifische Inhalt der christlichen Offenbarung widersinnig ist − ebenso die aberwitzigen theologischen Konstruktionen von Inkarnation,
Dreieinigkeit und so weiter. Aber vielleicht meint man ja, das Christentum sei
eine Allegorie, die eine metaphysische Wahrheit für die Massen zugänglich macht und deswegen beibehalten werden sollte.
In diesem Fall sollte man zuerst einmal genau wissen, welche metaphysische Wahrheit
gemeint ist. Ich glaube nicht, daß wir hier vor einer metaphysischen Wahrheit stehen − aber falls es so, sollte man sich fragen, ob das Christentum die einzige oder
die beste Allegorie dafür liefert. Warum gerade das Christentum und nicht die Bhagavadgita? So wie die
Lage aussieht, kann das Christentum Allegorie für zu vieles sein und daher von einer anstößigen Beliebigkeit nicht freigesprochen werden.
Verheerende Folgen des Christentums
Man sage nicht, das Obige sei nur für Theologen und Philosophen interessant, aber irrelevant für die Praxis. Das Christentum ist leider sehr relevant für die Politik. Das Christentum verspricht Erlösung, und zwar Erlösung der individuellen Seele. Als die Jesuiten in Japan missionieren wollten, stießen sie damit auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Man erzählt von Vinzenz Ferrer, daß er einen Samurai bekehren wollte und ihm die Rettung durch das Christentum erörterte. „Und was ist mit meinen Vorfahren?“ wollte der Samurai wissen. „Ach, das ist nicht so wichtig, sie werden in aller Ewigkeit in der Hölle schmoren, aber es geht jetzt um dich." Verständlicherweise klang für einen Samurai diese Behauptung frevelhaft. Tatsächlich wurden so einige Missionare zu Märtyrern. Für jedes gesunde Volk hört sich die Christenpredigt unerträglich an, da sie extrem individualistisch ist. Die christliche ewige Seele ist
der Vorbote der Lehre der Menschenrechte. Offenbar ist das Christentum am Ende
doch relevant für die Erhaltung des Systems.
Das Judentum ist de facto und de jure eine völkische Religion, wo das Volk selbst heilig ist, denn es ist immerhin das Volk
Gottes. Der Islam ist mindestens de facto eine völkische Religion, welche zwar die arabischen Völker auf arabisch anspricht, aber dennoch (zumindest für nicht-arabische Völker) den Anspruch nationaler Aufhebung im Glauben erhebt. Dagegen ist das Christentum weder de jure noch de facto völkisch. Schlimmer noch, es ist de jure eine universale Religion, wie der Term ›katholon‹ auf griechisch besagt und in ›Katholizismus‹ erhalten blieb − also eine Form von Universalismus, die mit jedem Nationalismus unverträglich ist. Die Antike empfand die Christen so, wie die Nationalisten den
bolschewistischen Kosmopolitismus. Es ist erstaunlich, wie sich der Vorwurf von
Celsus gegen die Christen, daß sie sich gegen die vaterländischen Religionen erheben, bestätigt hat. Ungefähr so äußerte sich Leopold von Ranke, als er erklärte, daß nach der Ausdehnung des römischen Reiches entwurzelte Religionen folgen mußten. Kaiser Julian war tolerant gegenüber den Religionen, aber vor dem Anblick des Christentums übermannte ihn das Gefühl, daß er vor einer geistigen Völkerwanderung stand, vor einem revolutionären Internationalismus.
Nietzsche behauptete, daß wir mit dem Christentum eine Fiktionswelt mit lauter imaginären Ursachen und imaginären Wirkungen betreten. Die Erbsünde: die imaginäre Ursache schlechthin, und die erste Rettung durch die Taufe: die imaginäre Wirkung schlechthin. Deswegen haben tiefblickende Nationalisten das
Christentum als Rebellion gegen die Naturgesetze angesehen: Genauso wie dieses
Leben nicht das wahre Leben sei, soll dein Volk nicht dein wahres Volk sein. Wie könnte ein echter Christ Biopolitik ernstnehmen?
Zusammenfassend wurde folgendes nachgewiesen: Das Christentum ist als
Offenbarung eine Zumutung, inhaltlich ein witzloser Widerspruch und in der
harten Welt der Tatsachen eine maximale Gefahr. Wir wissen nicht, ob Europa überleben wird, aber wenn dem so ist, wird es ohne das Christentum sein. ◊
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